„Geheimnisse, für die wir Bilder haben“

HERNE – Über Unterschiede beim Verhalten gegenüber Verstorbenen und verschiedene Sichtweisen zum Thema „Tod und Sterben“ unter dem Titel „Tote: Wehrlos und ausgeliefert?“ haben sich beim interreligiösen Gespräch im Herner Kulturzentrum am 16. Januar Vertreter von Judentum, Christentum und Islam ausgetauscht. „In der heutigen Zeit gibt es in der Begleitung von Sterbenden große Veränderungen“, so Pfarrerin Katharina Henke, die das jüdisch-christlich-muslimische Gespräch moderierte. „Die meisten Menschen wollen zuhause sterben. Jedoch versterben 90 Prozent im Krankenhaus oder Pflegeheim – oft ohne Angehörige.“ Das Wissen um hilfreiche Rituale, eine gute Begleitung Sterbender oder die Versorgung eines Toten seien nicht mehr selbstverständlich. „Früher im Dorf, früher bei uns zu Hause, da gab es das noch. Die Zeit blieb stehen, der Alltag wurde unterbrochen. Alle Nachbarn kamen zu helfen. Die Verstorbenen wurden zuhause aufgebahrt, die Kinder waren dabei.“ Umso mehr Raum würden heute formale, juristische oder hygienische Vorschriften einnehmen, bedauerte der Islamwissenschaftler Tekin Tekin. „Die Nähe zu Sterbenden bringt uns Menschlichkeit“, sagte er. Pfarrerin Henke wies auch auf die veränderte Bestattungskultur hin: Für viele gelte „billiger und anonymer“, für andere „ausgefallen und selbstbestimmt“.

Im Judentum spiegeln die religiösen Rituale bei der Versorgung des Toten die Ehrfurcht vor dem Ebenbild Gottes, berichtete Dr. Michael Rosenkranz. Genannt wurden in der Diskussion auch unterschiedliche Traditionen: „Ewiges Grab (Judentum, Islam) oder befristete Liegedauer (Christentum)? Beerdigung am Sterbetag (Judentum, Islam) oder nach drei Tagen (Christentum)? Öffentliche Aufbahrung (Christentum) oder Bedecken und Schützen des Verstorbenen vor den Blicken anderer (Judentum, Islam)? Feuerbestattung (Chritentum) oder Erdbestattung (Judentum, Christentum, Islam)?“

Damit verbunden ging es um Glaubensüberzeugungen und persönliche Fragen nach dem Ort der Toten oder der Seele. „Das sind Geheimnisse, für die wir nur Bilder haben.“ Da waren sich die Vertreter aller drei Religionen einig. „Der Leib verwest, aber die geistliche Gestalt bleibt bis zur Auferstehung“, heißt es bei den Juden. „Wir kommen von Gott und zu ihm kehren wir zurück“, glauben Muslime. „Wir werden verwandelt werden“, schreibt der Apostel Paulus. „Es gibt eine Neuschöpfung, keine Eins-zu-Eins-Fortsetzung des Alten“, erläuterte Pfarrerin Claudia Reifenberger aus der Friedenskirchengemeinde Castrop-Rauxel.

Es war ein Gesprächsabend mit persönlichen Berichten aus Beerdigungsgesprächen, Abschiednehmen in der Familie, mit Gedanken zu Kindern, die bereits im Mutterleib versterben, Fragen zur Organspende und Anhaltspunkten in Bibel und Koran. Der Abend schloss mit der Ermutigung, das Gespräch über diese Fragen in der eigenen Gemeinde und Familie zu suchen. KH