Liebesgeschichten musikalisch vorgetragen

Liebesgeschichten musikalisch vorgetragen

KONZERTKRITIK Brigitte Wilms über ein Kammerkonzert in der Herner Christuskirche                                                                                         

HERNE – Ein Kammerkonzert für Tenor, Flöte und Klavier mit Werken von Bach, Beethoven und Griffes: Trotz großer Hitze war die Herner Christuskirche am 30. Juni gut gefüllt. Howard Cohen, Flötenlehrer an der Herner Musikschule, und sein Begleiter, der Pianist Prof. Roland Pröll aus Osnabrück eröffneten den Nachmittag mit der Flöten-Sonate in e-Moll von Johann Sebastian Bach. Anstelle einiger Informationen zur musikalischen Gestaltung des dreisätzigen Werkes erzählte der Solist eine Geschichte: Die Zuhörer sollten sich die Sonate als Begegnung zweier Liebender vorstellen, und zwar e-Moll und G-Dur, die sich im ersten Satz kennenlernen, im zweiten Satz  ineinander verlieben, sich im dritten Satz gegenseitig den Familien vorstellen und im vierten Satz Hochzeit feiern. Cohen spielte wunderbar: Mit langem Atem erreichte er im ersten Satz eine Spannung, der sich die Zuhörer nicht zu entziehen vermochten, die Tempi der beiden Allegro-Sätze wählte er sympathisch langsam, stattdessen waren die Entsprechungen zwischen Klavier und Flötenstimme genauestens herausgearbeitet, eine sehr überzeugende Interpretation.

Gert Dowedeit-Bellinghausen, der als Oboist an der Musikschule Herne lehrt, setzte das Konzert mit Werken von Ludwig van Beethoven fort. Am Klavier begleitete ihn seine Tochter Felicia Bellinghausen, die gerade an der Musikhochschule Detmold eine Ausbildung in Musiktheorie absolviert. Zunächst interpretierten beide den Zyklus „An die ferne Geliebte“ nach Texten von Alois Isidor Jeitteles, in denen ein Liebhaber seiner verlorenen Liebe in sechs Versen gedenkt. Er besingt den Ort, wo sie sich kennenlernten, bittet Vögel und Wolken, der Geliebten von seiner Traurigkeit zu berichten, beneidet die Schwalben, die im Mai ihre Nester bauen und findet schließlich Trost in der Vorstellung, dass Lieder eines liebenden Herzens bestimmt den Weg zum Herzen der Geliebten finden. Mit zarter Innigkeit erklangen diese im Charakter so unterschiedlichen Lieder, dem inneren Monolog entsprechend. Nur selten erhob Dowedeit-Bellinghausen seine Stimme wie im Aufschrei. Sehr ausdrucksstark und mit sensiblem Anschlag begleitete Felicia Bellinghausen und vervollkommnete diese stilvolle Gestaltung des ersten Gesangszyklus aus dem Jahre 1816, den Beethoven seinem  langjährigen Gönner Fürst Joseph von Lobkowitz zum Andenken an dessen früh verstorbene Frau gewidmet hat. Im anschließend vorgetragenen Adelaide wird die lebenslange Treue eines Mannes zu seiner großen, nicht erfüllten Liebe besungen, von den Interpreten ebenfalls mit viel Zartheit und Ästhetik vorgetragen.

Zum Abschluss erklang das „Poem“ von Charles Tomlinson Griffes, amerikanische impressionistische Musik aus dem frühen 20. Jahrhundert, ein teils sehr lyrisches, teils äußerst virtuoses Werk, das heute zum Flötenrepertoire eines jeden Flötisten gehört, weil es die technischen Möglichkeiten der Flöte aufzeigt und ihren gesamten Tonumfang ausnutzt.

Howard Cohen erzählte wieder eine Liebesgeschichte – eine tragisch endende: Ein Mädchen lernt einen Mann kennen und erhält von ihm seine Telefonnummer. Bevor sie anrufen kann, entreißt ihr aber der Wind den Zettel. Als es ihr trotzdem gelingt, den Mann wiederzusehen, ist er in Begleitung einer Dame. Anstatt zu resignieren, beschließt das Mädchen, ihr Leben zu ändern. Perfektes Zusammenspiel, eine sehr intensive Gestaltung und überragende Virtuosität – das Publikum war begeistert. Als kleine Zugabe gab es noch das Lied „Ich liebe dich, so wie du mich“ von Beethoven, bevor ein glückliches Publikum nach Hause ging.