Herne. „Wäre Jesus heute bei Facebook? Oder Mohamed?“ Beides konnten sich die Teilnehmenden am interreligiösen Dialog am 7. März in der Volkshochschule im Herner Kulturzentrum nicht vorstellen. „Möglicherweise würden sich ihre Anhänger bei Tikok oder Instagram tummeln und posten, was sie beobachtet und erlebt haben“, so lautete eine Vermutung.
Am ersten Abend der neuen Reihe „Religion 2.0“ ging es um den Einfluss der Neuen Medien auf die Religiosität. „Auf den verschiedenen Social-Media-Kanälen wird nach meiner Beobachtung nur einseitig und klischeehaft über Religion berichtet“, meinte Nursanali Aydin. Er selbst arbeitet im Marketing und gehört zu einem Kreis junger Muslime, die sich seit Studienzeiten in Herne und Bochum zur Koranexegese treffen. „Nur die Probleme werden hervorgehoben“, sagte er. „Muslime sind demnach gewaltbereit, Juden Opfer von Holocaust und Antisemitismus, in den Kirchen findet man nichts als Missbrauch und eine rückständige Haltung.“ Keiner der Anwesenden sah seinen Glauben und seine Religion bei solchen Darstellungen ausreichend beschrieben. Ein verzerrtes und reduziertes Bild irritiere das religiöse Selbstgefühl. „Die meisten dieser Berichte sind ohne spirituelle Substanz“, bedauerte Dr. Michael Rosenkranz von der jüdischen Gemeinde. „Ich vermisse Hinweise, wie man als Gläubiger den Alltag heiligen und in der Gottesbeziehung leben kann“.
Eine Rechtfertigung der Missstände verbiete sich und führe nicht weiter. Für eine differenzierte Diskussion religiöser und theologischer Fragen fehle vielen Mediennutzern das Wissen. Auch sei die Aufmerksamkeitsspanne gerade bei jungen Menschen geschrumpft. Was länger dauert als ein kurzer Clip, werde übergangen. Die Referentinnen und Referenten finden in den Sozialen Medien vor allem Polemik, kaum echte Dialoge. „Mehr als die Oberfläche erreicht man nur im persönlichen Kontakt“, meinte der katholische Priester Reinhard Hörmann wie etwa im interreligiösen Religionsunterricht.
„Andererseits melden sich im Internet viele Expertenzu theologischen Inhalten“, sah Aydin auch positive Seiten der neunen Kommunikationsmöglichkeiten. „Gerade junge Muslime wollen sich dort orientieren, was den Diskurs fördern kann.“ Doch auch hier sei zu beachten, dass die Kompetenz und die ideologische Ausrichtung dieser Experten ungeprüft bleiben. „So bewegen sich die meisten doch nur in ihrer ‚Blase‘ mit Gleichgesinnten.“ Ein offener Austausch sei selten. „Gott fordert unsere Mündigkeit – und diese setzt religiöse Bildung voraus“, sagte Dr. Rosenkranz. Der Talmud sei eine Sammlung von Diskussionen. „Anstrengung statt Trägheit“ sei auch ein Leitmotiv im Islam. Es brauche ein aufrichtiges Bemühen der Gläubigen. „Gottsucher sind wir – nicht Gottbesitzer“, ergänzte Pfarrerin Katharina Henke. Die Islambeauftragte des Kirchenkreises Herne leitete den Abend. Abschließend tauschten die Anwesenden Hinweise auf lohnende religiöse Sendungen und Foren aus. KH