Gelungene Einstimmung auf die Weihnachtsfesttage

HERNE – In der voll besetzten und mit drei Weihnachtsbäumen festlich geschmückten Christuskirche Herne hat der „Junge Chor Herne“ am 22. Dezember sein traditionelles Weihnachtskonzert gegeben und ein konzentriert lauschendes Publikum begeistert. Auf dem Programm standen Werke von Heinrich Schütz und Georg Philipp Telemann sowie einige Weihnachtssätze von Johann Schelle. Der „Junge Chor Herne“ trifft sich einmal im Jahr zum Einüben des Weihnachtsprogramms, ein Instrumentalensemble und sieben Solisten haben die Sängerinnen und Sänger begleitet. Die Leitung hatte Dr. Andreas Krabs, dessen Musikbegeisterung nicht nur die Ausführenden zu Höchstleistungen animierte, sondern auch das Publikum mitriss.

Zu Beginn erklang als Einstimmung die prächtige sechsstimmige Motette „Das Wort ward Fleisch“ von Heinrich Schütz (1585-1672) aus der „Geistlichen Chormusik 1648“. In „Das Wort ward Fleisch“ wechselten sich homophone und kontrapunktische Abschnitte ab, und immer veränderte sich bei einem neuen Satzteil die kompositorische Gestaltung.

Es schloss sich mit der „Weihnachts-Historie“ ein Spätwerk von Schütz an, die er auf Anregung des Fürsten Johann Georg II. von Anhalt-Dessau schuf, der eine neue Weihnachts-Historie zur jährlichen Aufführung gewünscht hatte. Dieses als „Historia der freudenreichen Geburt Jesu Christi“ betitelte Werk gliedert sich in eine Introduktion und einen Beschluss; zwischen diesem Anfangs- und Endpunkt liegen neun Rezitative des Evangelisten und acht Intermedien mit den anderen Solisten. Die Rezitative des Evangelisten stehen im sogenannten „Stylo recitativo“, der es ihm erlaubt, die Texte in freier Weise bei sparsamer Begleitung zu deklamieren, was Nils Giebelhausen mit seiner weichen Tenorstimme meisterhaft gelang.

Die Intermedien sind geistliche Konzerte, kürzere Musikstücke wie Sologesang oder mehrstimmige, kontrapunktische Kompositionen mit Instrumentalbegleitung. Bei Schütz bilden sie inhaltlich eine Fortsetzung der Texte des Evangelisten in den vorangegangenen Rezitativen, die er den Evangelien von Lukas und Matthäus entnommen hat. Den Wechsel von Rezitativ und Intermedium als Wechsel in der Kompositionsweise zu gestalten, hat eine große Abwechslung zur Folge, zumal Schütz die „Handlungsträger“  nicht nur unterschiedlichen Stimmlagen zuordnet, sondern ihnen auch jeweils andere obligate Instrumente zur Seite stellt. So ist der Engel einem Solosopran, begleitet von zwei Bratschen, zugeordnet, die Hirten werden von drei Altstimmen gesungen, begleitet von unisono spielenden Oboen, zu den Weisen aus dem Morgenlande (drei Tenöre) erklingen zwei Violinen und ein Fagott, und Herodes (Bass) bekommt mit den Trompeten das klassische Königsattribut. Die ganze Weihnachtsgeschichte auf diese Weise zu erleben, war ungeheuer spannend und berührend, vielleicht weil der Text mehr im Vordergrund stand als bei späteren Oratorien mit langen Arien.

Als zweites Hauptwerk folgte das Magnificat in C von Georg Philipp Telemann (1681-1767), das er als junger Mann zu Beginn seiner Karriere in Leipzig (1701-1705) anlässlich einer Orgeleinweihung 1704 komponiert und mit großem Erfolg aufgeführt hatte. Der Lobgesang Mariens, basierend auf Lukas 1,46–55, gehört schwerpunktmäßig in die Adventszeit. Sein liturgischer Ort im christlichen Gottesdienst ist von alters her die abendliche Vesper, in der es feierlich gregorianisch gesungen wird, so auch im lutherischen Leipzig der Bachzeit. An hohen Festtagen jedoch erklang es dort mehrstimmig unter Mitwirkung von Instrumenten, und bei einer Aufführung an Weihnachten wurden traditionsgemäß vier weihnachtliche Sätze eingefügt. Bei Telemann sind es Kompositionen von Johann Schelle, einem Amtsvorgänger Bachs, der wie auch Johann Kuhnau oder später Carl Philipp Emanuel Bach Magnicat-Kompositionen hinterlassen hat.

Telemann wählte in seiner Vertonung wie Johann Sebastian Bach, von dem das bekannteste Magnificat stammt, den abwechselnden Einsatz von Vokalsolisten (oft als Duette) und Chor, und auch bei ihm gibt es direkte Übergänge von Arien in Chorsätze, z.B. von „Fecit potentiam“ („Er übet Gewalt“) zu „Dispersit superbos“ („Er zerstört die Überheblichen“). Das Werk ist mit drei Trompeten und Pauken gemäß dem feierlichen Anlass groß besetzt und verlangte den Ausführenden einiges an Können ab. Sowohl Chor als auch Orchester bewiesen einen hohen Grad an Virtuosität und verstanden es hervorragend, langsamere Sätze wie den Einlegesatz „Virga Jesse“ („Der Zweig aus Jesse“) mit viel Ausdruck zu gestalten. Die Solisten wirkten als Ensemble (mit Frauke Kandler als 2. Sopran und Hans-Joachim Herholz als 3. Bass) sehr harmonisch, da die Stimmen sich hervorragend ergänzten. In den sehr unterschiedlich komponierten Arien konnten sie sich wunderbar entfalten wie in der eindringlichen Alt-Arie „Quia respexit“ („Er hat die Niedrigkeit seiner Magd angesehen“) mit Michaela Günter oder der zu Herzen gehenden Sopran-Arie „Et misericordia ejus“ („Und seine Barmherzigkeit“) mit Charikla Tonn. Ein besonderer Genuss war auch das Bass-Duett „Fecit potentiam“ mit seinen kraftvollen Dreiklangsfiguren, von Niels Miegel und Philipp Melchert virtuos vorgetragen.