Musik und Poesie im Duett - Eine Konzertkritik von Brigitte Wilms

HERNE – Am 27. Mai hat in der Evangelischen Christuskirche Herne eine besondere Veranstaltung mit Kompositionen für Flöte und Violine in Verbindung mit Gedichten über die Musik von Ingeborg Bachmann stattgefunden. Es erklangen bekannte Solowerke von Johann Sebastian Bach und Niccolò Paganini sowie unbekanntere spielfreudige Duos des 18. Jahrhunderts, gespielt von Arnhild Keseberg (Flöte) und Inna Kogan (Violine) aus dem Sauerland, die mit ihrem wunderbaren Zusammenspiel und ihrer fulminanten Technik begeistern konnten.

Das Konzert begann mit einer dreisätzigen Sonatine in C-Dur von Franz Christoph Neubauer (1760-1795), einem deutschen Komponisten und Violinisten, der als Kapellmeister zuletzt in Bückeburg als Nachfolger des jüngsten Bachsohnes Johann Christoph Friedrich tätig war. Das Leben des Komponisten ist nur in Fragmenten überliefert; seinen Zeitgenossen galt er als genialer Wüstling. Die Sonatine ist gefällige höfische Musik mit einem hübschen Rondo als Abschluss.

Es folgte das Duo Op. 2 Nr.6 von Johann Joachim Quantz (1697-1773), ein Stück, das kontrapunktische Formen verwendet wie den Kanon und die Wendigkeit der Flöte hörbar zum Ausdruck bringt. Quantz war vielseitig begabt, neben der Flöte beherrschte er als ausgebildeter Stadtpfeifer noch mehrere Streich- und Blasinstrumente (Violine, Oboe, Trompete, Zink, Waldhorn, Posaune, Blockflöte, Fagott, Violoncello, Gambe und Kontrabass), komponierte und baute selbst Flöten. Besonders im Gedächtnis geblieben ist er aber als Flötenlehrer des preußischen Königs Friedrich II., dessen Spiel er sogar kritisieren durfte. 1752 verfasste er das Flöten-Lehrbuch „Versuch einer Anweisung, die Flöte traversiere zu spielen“, das man noch heute erwerben kann.

Louis-Claude Daquin (1694-1772), französischer Organist und Cembalist, galt als musikalisches Wunderkind. Bereits im Alter von sechs Jahren konnte er vor Ludwig XIV. als Cembalist auftreten, und Konzerte mit eigenen Werken leitete er mit zwölf. Seinen Zeitgenossen galt er als der beste Orgelimprovisator seiner Zeit, als Organist war er zuletzt in Notre Dame zu Paris tätig. Leider sind nur wenige seiner Kompositionen erhalten, darunter das Stück le Coucou, ursprünglich für Cembalo geschrieben, hier mit abwechselnd auf Flöte und Violine verteilten Kuckucksrufen zu girlandenartiger Begleitung vorgetragen.

Musikalische Höhepunkte des Abends waren die beiden Solowerke für Violine. Zunächst spielte Inna Kogan aus J. S. Bachs Partita in d-Moll die abschließende Chaconne mit energischem Strich, sauberen Doppelgriffen und schön ausgespielten Linien. Bach hat in diesem dreiteiligen Variationssatz mehrere Einflüsse zusammengefasst: die Tradition der Lauten- und Cembalo-Chaconne französischer Provenienz, die italienische Ciaccona für eine oder zwei Violinen mit basso continuo und schließlich die deutsche Passacaglia für Violine solo, wie man sie bei Biber findet. Jeder der drei Teile beginnt ruhig und konzentriert, um sich dann zu mitreißender Großartigkeit zu entwickeln.

Von Niccolò Paganini (1782-1840), dem berühmtesten italienischen Geiger seiner Zeit, musizierte Inna Kogan mit viel Temperament und großem Können zwei seiner 24 Capricen, dem ersten Werk, das der damals 38-Jährige veröffentlicht hatte. Technisch gehören die 24 Capricen von Paganini zum Schwierigsten, was je für die Geige komponiert wurde. Sie sind aber nicht nur als Etüden zum Üben einzelner technischer Schwierigkeiten zu verstehen, sondern behandeln in jedem Stück auch einen anderen musikalischen Charakter. Sein äußeres Erscheinungsbild (schwarze Konzertkleidung, durch Krankheit entstellte Physiognomie) und seine unerklärliche Spieltechnik auf der Geige haben leider dazu beigetragen, dass schon zu Lebzeiten die Legende eines teuflisch-dämonischen Künstlers entstanden ist, dabei war er ein treu sorgender Vater für seinen Sohn Achille.

Vor und zwischen den einzelnen musikalischen Beiträgen las Jürgen Hinninghofen aus Oberhausen, ein erfahrener Rezitator, elf  Texte von Ingeborg Bachmann mit dem Titel „Die wunderliche Musik“, tiefgründige, nachdenkliche Texte, die verstehen ließen, dass Ingeborg Bachmann einen besonderen Bezug zur Musik hatte: „Ich habe zuerst angefangen zu komponieren und dann erst zu schreiben.“ Schon die Titel der einzelnen Gedichte (Garderobe, Zuhörer, Partituren, schwere und leichte Musik oder Dirigenten) weisen auf das Thema hin: Was geschieht vor, während und nach einem Konzert. „Für mich ist Musik größer als alles, was es gibt an Ausdruck. Dort haben die Menschen das erreicht, was wir durch Worte und durch Bilder nicht erreichen können.“ Für Bachmanns Musikverständnis wesentlich war ihre Freundschaft mit Hans Werner Henze, von dem sie später sagen sollte, dass sie Musik durch ihn erst richtig verstehen gelernt habe. „Nach abgemachten, begreiflichen Regeln wird die Musik geschrieben, und nach einer unbegreiflichen Gemeinsamkeit der Struktur zwischen den Zeichen und Ton kommt das Abgelesene zum Erklingen. Das Schriftbild verrät uns wohl die Musik, aber nicht, was die Musik uns sagt“, was sehr gut die Aufgabe jedes Künstlers beschreibt: Er muss das, was nicht zu lesen ist, hörbar machen, damit die Zuhörer es verstehen können. Inna Kogan und Arnhild Keseberg ist dies in diesem Konzert sehr gut gelungen, und mit seinem Beifall nach dem letzten Stück, La Cucaracha, einem spanischen Volkslied über die Küchenschabe, hat das Publikum bekundet, dass die Interpreten es an diesem Abend erreichen konnten.