#Nachgefragt. In loser Reihe fragen wir verschiedene Menschen nach ihrer Meinung zu Corona, den Maßnahmen und den Folgen. Zuletzt hat Wolfgang Flunkert Stellung genommen. Wolfgang Flunkert ist seit 2005 als Kreiskantor des evangelischen Kirchenkreises Herne tätig. Als Kreiskantor ist er für die Kirchenmusik und Liturgie im Kirchenkreis verantwortlich. Er organisiert und spielt in Gottesdiensten oder Konzerten Orgel, dirigiert das Kammerorchester der Kreuzkirche und organisiert Fortbildungen für Organisten und Chormitglieder. Darüber hinaus leitet er die Kreuzkantorei, mit der er klassische Chorwerke aufführt, die Soulvoices, die Gospel und Popmusik erklingen lassen, die Kinderband Soulkids und das Bläserensemble Herne Brass. Neben Orgel, Klavier und Schlagzeug kann er auch zu Tuba oder Gitarre greifen, wenn die Umstände dies erfordern. Wir wollten von ihm wissen, wie sich Corona auf den Alltag als Kreiskantor auswirkt.
Unsere Kirche: Herr Flunkert, normalerweise gleicht ihre Arbeit ja einer „bunt gemischten Tüte“ - können Sie kurz beschreiben, was ihren Alltag vor Corona ausgemacht hat?
Flunkert: Die Arbeitsfelder waren sehr vielfältig. Ich habe die oben genannten Gruppen geleitet, Konzerte und Gottesdienste geplant und gespielt, bin im AKZ der Synodalregion Herne und habe jährlich eine Fortbildungsreihe für kirchenmusikalisch Interessierte Menschen im Kirchenkreis geplant und durchgeführt. Im Vorstand des Kirchenmusik-Verbandes der EKvW arbeite ich seit einigen Jahren ehrenamtlich und hatte letztes Jahr für ein paar Monate den kommissarischen Vorsitz. Dazu kamen zum Beispiel die musikalische Gestaltung der Friedensgebete vor der Kreuzkirche, monatliche Besuche in den Kindergärten, Besuche bei Frauenhilfen und Frühstücks-Kreisen in den Gemeinden des Kirchenkreises sowie die Teilnahme als Referent an den Presbyterfreizeiten des Kirchenkreises auf Norderney.
UK: Musik verbindet – normalerweise. Und: Musik lebt von und mit der Gemeinschaft – eigentlich. Nun gibt es keine gemeinschaftlichen Proben und Konzerte, Gottesdienstpausen sowie Gesangsverbote. Wie hat sich Ihr beruflicher Alltag durch Corona verändert - können Sie das anhand einiger Beispiele beschreiben?
Flunkert: Ein großer Teil der Arbeit geschieht am Computer: AKZ- Sitzungen, Dienstbesprechungen, Bearbeiten von Orgel- oder anderen Musikaufnahmen wie z.B. die Kachelvideos der Chöre, Orgelgrüße- sogar live Gottesdienste finden in größeren Abständen auf Zoom statt. Ebenso treffen sich Kreuzkantorei und Soulvoices mittwochs zusammen online, um mit Einsingübungen die Stimme über den Lockdown fit zu halten, neue Lieder kennen zu lernen und in Kontakt zu bleiben. Sonntags spiele ich trotz ausfallender Gottesdienste die Orgel in der offenen Kreuzkirche für die BesucherInnen und auch zur eigenen Freude und auch Übung. Das Orgelüben und das Produzieren nehmen überhaupt einen großen Raum der Arbeit ein - die wöchentlichen YouTube Andachten und Orgelgrüße brauchen immer neues Futter. Gerade zu Beginn waren wir überrascht, dass die Aufnahme einer 10 minütigen Andacht sehr vieler Stunden der Vor und Nachbereitung bedarf.
Eine Fortbildungsreihe wird es auch in diesem Jahr geben. Wir machen aus der Not eine Tugend und beschäftigen uns mit Aufnahme- und Filmtechnik sowie mit Social Media - alles natürlich per Zoom.
UK: Musik ist nicht systemrelevant - wie erleben Sie persönlich diese Zeit mit Kontaktbeschränkungen, Hygienemaßnahmen, etc. ?
Flunkert: Die Maßnahmen halte ich zuerst mal für wichtig und gut und bin froh über den vorsichtigen Kurs unserer Landeskirche. Zoom-Sitzungen helfen, mit den ChorsängerInnen in Kontakt zu bleiben, das gemeinsame Musizieren ersetzen sie nicht. Das macht einem aber auch selbst bewusst, wie wertvoll das Musizieren ist und in der kurzen Phase, als Präsenz-Proben möglich waren, waren eigentlich alle gerührt, wie schön schon eine einstimmige Melodie klingt, geschweige denn ein vierstimmiger Chorsatz. Einige Talente haben sich in dieser Zeit entwickeln können und haben solo im Gottesdienst gesungen, weil nur eine Sängerin oder ein Sänger im Gottesdienst erlaubt war. Das war ganz rührend, das mitzubekommen. Was Besprechungen und Sitzungen angeht: manchmal ist Zoom auch ganz praktisch: keine Anfahrt, oft dauert es nicht so lang, man ist konzentrierter und fasst sich kürzer. Gerade im Kirchenmusikverband muss man nicht mehr durch die halbe Landeskirche fahren, um sich zu besprechen.
Trotzdem ist es natürlich schön, wenn es wieder möglich ist, gemeinsam zu singen, zu musizieren, sich zu sehen - ganz klar…
UK: Musik bildet eine Brücke zur Gemeinschaft - Corona hat auch neue Impulse hervorgerufen. Sie haben mit kreativen Ideen auf die Maßnahmen reagiert: Balkonsingen statt Bibelkreis war eine Aktion im Mai letzten Jahres für die Bewohnerinnen und Bewohner der Wohnstätten der Lebenshilfe an der Werderstraße. Welches ist für Sie persönlich so ein besonderer, unvergesslicher Moment?
Flunkert: Die Werderstraße gehört sicher dazu, gleich aus zwei Gründen. Die BewohnerInnen haben sich riesig gefreut über die Musik, sie haben getanzt, mitgesungen, sich überschwänglich bedankt - so direkte Reaktionen bekommt man sonst selten. Das Spielen hat richtig Spaß gemacht. Dazu kommt, dass ich die Unterstützung einer Mitarbeiterin hatte, die sich als richtig gute Sängerin erwiesen hat - eines der oben beschriebenen Talente:-). Auch das hat Freude gemacht. Ebenso gehört das Musizieren vor dem Eva-von Thiele Winkler Heim mit dazu, die Freude war ganz ähnlich wie in der Werderstraße auf beiden Seiten. Auch hier hat eine Mitarbeiterin mitgemacht, sie spielt sehr gut Querflöte und mein Repertoire hat sich um viele tolle Schlager aus der ersten Hälfte des 20 Jahrhunderts erweitert :-).
Ein besonderer Moment war auch ein Auftritt einer sehr kleinen Gruppe der Soulvoices. Die drei Frauen, die zweistimmig im Gottesdienst sangen, haben die Gottesdienstbesucher und mich gleichermaßen gerührt und Pfarrer Kornelius Heering hat sich die gleiche Musik dann noch mal zu seiner Verabschiedung gewünscht. Eine besondere und traurige Bedeutung bekamen diese Auftritte auch dadurch, dass eine der Sängerinnen in dieser Zeit sehr unerwartet gestorben ist. So war es, ohne dass es uns bewusst war, auch ein Abschied.
UK: Was sollte die Gesellschaft aus der Corona-Krise lernen? Gibt es aus Ihrer Sicht etwas, das sich nachhaltig ändern muss?
Flunkert: Da gibt es sicherlich viele Meinungen zu. Aus meiner Sicht möchte ich Demut nennen. Wir haben nicht alles in der Hand und auch nicht Anspruch darauf, dass immer alles möglich und verfügbar ist. Mein Eindruck ist, dass wir schneller durch die Krise gekommen wären bzw. kommen würden, wenn wir solidarischer und an mancher Stelle geduldiger wären und die Maßnahmen unterstützen- ohne Meckern und das Dauergefühl, uns würde etwas genommen. Die Regierung oder wer auch immer können nichts für Corona- es ist unsere gemeinsame Verantwortung, für eine Eindämmung zu sorgen. Dabei muss denen geholfen werden, die jetzt in Not sind, weil sie allein sind oder große finanzielle Probleme haben.
Dass sich an manchen Stellen Natur erholt hat, dadurch, dass wir uns begrenzen mussten, ist meines Erachtens auch ein sehr wichtiges Zeichen und auch Maßstab dafür, was man aus der Krise lernen kann oder lernen muss.
UK sagt „Vielen Dank!“