„Geheimnis der Erlösung heißt Erinnerung“ (Talmud)

Pfarrer Niels Nieborg zum 75. Jahrestag des Kriegsendes:

Richard von Weizsäcker sagte: „Der 8. Mai ist für uns vor allem ein Tag der Erinnerung an all das, was Menschen erleiden mussten“ durch den Zweiten Weltkrieg und Nationalsozialistische Gewaltherrschaft. Wenn wir uns erinnern, versuchen wir uns etwas dem Geschehen zu stellen: unsäglichem Leid durch den Krieg und die Gewalt an Juden, Unschuldigen, Andersdenkenden, zivilen Opfern, Kriegsgefangenen. Es fällt schwer sich zu stellen und es hilft, etwas vom Gefühl zu erinnern.

Man kann eine Menge über diesen Krieg gelesen, gelernt und in Dokumentationsfilmen gesehen haben, wissen wollen und nicht wissen wollen: Mit Erinnerung an Leid und nationalsozialistische Gewaltherrschaft erinnern wir den 8. Mai als „Tag der Befreiung“!

Von Weizsäcker hat Fakten und Gefühl in Übereinstimmung gebracht und hat sich vor 35 Jahren von falscher Ideologie abgegrenzt. Man kann natürlich Fakten verdrehen wie die Bombernacht Dresdens und Gefühle ideologisch manipulieren, doch wirklich die Gefühle leidender Menschen zu vernehmen und bei sich ankommen zu lassen, hilft: dieses Erinnern befreit, Menschen zu achten – Krieg zu ächten!

Filme von Holocaust bis Überläufer bringen uns ein Gefühl dafür nahe. Mir sind Gefühle der Menschenverachtung, des sinnlosen Krieges und wie sehr sich Menschen sehnten von Gewalt der Diktatoren und des Krieges befreit zu werden mit Arno Geigers Buch „Unter der Drachenwand“ aufgegangen. Mit Briefen Heinrich Bölls und persönlichen Schilderungen kam etwas von diesem Krieg und der Gewaltherrschaft in meinem Innern an, was mahnt „Nie wieder Krieg“ – es gilt ideologischer Gewalt und jedem Hass entgegenzutreten.

Wir müssen weiter Erinnern, damit Ideologen die Fakten nicht verdrehen und der 8. Mai ein Tag der Befreiung bleibt – uns befreit. Der Historiker Martin Sabrow spricht beim 8. Mai von einem „die Zeiten überdauernden Tag der befreienden Niederlage und des rettenden Zusammenbruchs“. Natürlich hat dieser Zweite Weltkrieg auch unendliches Leid für uns Deutsche bedeutet. Jesus sagt: „Wer das Schwert nimmt, der soll durchs Schwert umkommen“ (Mt 26,52). Achtlosigkeit gegenüber zugefügtem Leid führt zu Leid.

Die Erinnerung des 8. Mai befreit dazu, Krieg zu unterlassen und Frieden zu suchen. Dabei finden wir heute ein wiederaufgebautes Deutschland, „75 Jahre Frieden in Europa“ und den Wert von Menschenrechten und Vereinten Nationen. Doch das Geheimnis der Erinnerung führt weiter: Es gilt Verantwortung und Stellung gegenüber Hass zu übernehmen – gegen den Nationalismus für Europa einzutreten, Menschenrechte und die Vereinten Nationen stark zu machen, das befreit Menschen vom Leiden durch Gewaltherrschaft und Krieg – „Geheimnis der Erlösung heißt Erinnerung“.