HERNE – Am 27. Februar ist im Herner Kulturzentrum eine neue dreiteiligen Reihe des Interreligiösen Gesprächs gestartet. „Was meinen Juden, Christen und Muslime, wenn sie über Sünde und Schuld sprechen?“ Diese Frage stand im Mittelpunkt des ersten Abends. „Es ist eine große Herausforderung, diese theologischen Begriffe in Leben und Glauben heute zu vermitteln, sagte Pfarrerin Katharina Henke, Islambeauftragte des Kirchenkreises Herne. „Sünde ist ein Beziehungsbegriff, der eigentlich nur im religiösen Kontext Sinn macht.“ Wenn heute zum Beispiel von der „Verkehrssünderkartei“ die Rede sei, zeige sich, dass heute mit dem Begriff „Sünde“ Regelverstöße verbunden würden.
Dass der Mensch als Sünder geboren wird, sehen Juden und Muslime, die auch keine Erbsünde kennen, anders. „Der Mensch wird rein geboren und soll diese Reinheit erhalten. Er kann sich entscheiden, die Gebote einzuhalten. Er ist allerdings anfällig und schwach“, erläuterte Dr. Ahmet Inam, der über das Thema „Sünde im Koran“ promoviert hat. Das arabische Wort für „Mensch“ bedeute so viel wie „Einer, der vergisst“.
„Was Christen und Juden trennt, ist nicht Jesus, sondern Paulus“, meinte Dr. Michael Rosenkranz. Denn Paulus sehe alle Menschen durch Adam der Sünde verfallen (Römer 5). „Mit dem Gedanken der Erbsünde tun sich auch Christen heute schwer“, so Katharina Henke. „Paulus‘ Schilderung, dass der Mensch das Gute will, aber das Böse wählt (Römer 7), beschreibt die menschliche Schwäche auch für heutige Ohren zutreffend – ebenso Luthers Satz vom Menschen als in sich selbst verkrümmtes Wesen.“ Einig waren sich die Gesprächspartner darin, dass in einer säkularen Gesellschaft das Wort Sünde oft vermieden werde. „Wir sprechen eher von Schuld.“
Verschiedene Sünden werden bei Juden und Muslimen unterschiedlich bewertet. Der Mensch habe aber bei aller Schwäche die Möglichkeit, die großen Sünden wie Götzendienst, Mord oder Unzucht mit Abhängigen, zu vermeiden. Für Gilbert Krüger macht es einen Unterschied, ob die schweren Folgen der Sünde wieder gut gemacht werden können oder nicht. Aber jede Sünde sei eine Entfernung von Gott. „Wir schädigen nicht Gott, sondern vor allem uns selber“, so Dr. Rosenkranz. „Ich bringe mich um meine Lebensaufgabe, Gottes Partner zu sein und ihm Dankbarkeit zu erweisen.“ Die Gebote seien als Hilfestellung für den Menschen gedacht.
Einen breiten Raum nahm in der Aussprache das Verhalten der Menschen zueinander ein. Bei Schuld und Sünde gehe es um Selbsterkenntnis – nicht um eine Beschuldigung von außen. Allerdings gebe es in allen Religionen Fanatiker, die Macht über andere ausüben wollen und ihnen religiöses Fehlverhalten vorwerfen. Sie drohen und vollziehen Strafen, die in den Heiligen Schriften keinen Anhalt haben oder nur im Jenseits erwartet werden. „Unter diesen Auswüchsen von selbsternannten Moralaposteln leiden viele Menschen“, sagte Pfarrerin Henke. „Andererseits kennen alle drei Religionen die Aufgabe, andere auf Fehlverhalten hinzuweisen.“ Dies müsse jedoch freundschaftlich geschehen, wie Dr. Inam betonte. „Jeder trägt selbst Verantwortung für sein Verhalten; das Leben in Freiheitist eine Prüfung des Menschen.“ KH