Herne. Am Vorabend des zweiten Advents hat die Kreuzkantorei der Kirchengemeinde Haranni das Oratorium „Paulus“ von Felix Mendelssohn Bartholdy aufgeführt. Die Herner Kreuzkirche war bis auf den letzten Platz besetzt – und keine Besucherin, kein Besucher hat sein Kommen bereut. Sängerinnen und Sänger, Orchestermusiker, Organist Johannes Wolf sowie die Solisten Pia Leimann (Sopran), Heike Bader (Alt), Arno Bovensmann (Tenor) und Bernhard Effern (Bass) begeisterten das Publikum.
Dass der Paulus schon zu Lebzeiten von Felix Mendelssohn Bartholdy dessen beliebtestes Werk war, lässt sich angesichts der Vielfalt der musikalischen Formen nachvollziehen. Mendelssohn gilt als Bewahrer und Erneuerer der traditionellen Kirchenmusik. In seinen Oratorien sind musikalische Anklänge an die Passionen Johann Sebastian Bachs oder die Oratorien Georg Friedrich Händels unüberhörbar. In der Ouvertüre des Paulus verarbeitet Mendelssohn Bartholdy den Choral „Wachet auf, ruft uns die Stimme!“ von Philipp Nicolai. „Wachet auf, seid bereit und erkennt, dass der auferstandene Christus euch begegnen will. Das klingt wie ein Weckruf – und ein solcher soll der Eingangschor wohl auch verstanden werden – an eine Christenheit, die es mit ihrem Glauben nicht ernst genug meint.
Die Vertonung der Steinigung des Stephanus im ersten Teil erinnert an die Vertonung der "Kreuzige"-Rufe in Johann Sebastian Bachs Johannes- oder Matthäuspassion. Wenn die Heiden nach und nach dazukommen, macht der Komponist das musikalisch durch die Form der Fuge deutlich. Die Stimmen setzen hier nach und nach ein, wobei die Einsätze immer dichter aufeinander folgen.
Insgesamt erzählt Mendelssohn in Arien, Rezitativen und dramatischen bis lyrischen Chorstücken die Geschichte des Christenverfolgers Saulus, der sich zum Apostel Paulus wandelte. Dabei verwendet er fast ausschließlich Zitate aus der Bibel.
Eine zentrale Szene im Werdegang des Paulus wird in einem Rezitativ erzählt: Saulus wird auf dem Weg nach Damaskus, wo er Christen als Gotteslästerer aufspüren und gefangen nehmen will, stellt sich ihm der auferstandene Christus in den Weg, um ihn zu fragen: "Saul, was verfolgst du mich?" Als Christus dem Saulus sagt, dass er in die Stadt gehen soll, um dort weitere Weisung zu empfangen, wird klar, dass sich das Leben des Saulus komplett ändern wird. In dieser Szene der Wandlung wandeln sich auch die Harmonien zu einem strahlenden D-Dur.
Dem Chor weist Mendelssohn in seinem Oratorium verschiedene Rollen zu. Wie in anderen Oratorien übernimmt er die Stimme des Volkes, so ruft er zunächst Stephanus und später Paulus „Weg, weg mit ihm!“ oder „Steiniget ihn!“ zu. Daneben kommentiert der Chor als „Stimme der gläubigen Seele“ in Chorälen das Geschehen und verknüpft damit die Tradition evangelischen Gottesdienstliedes mit der musikalischen Ausdruckskraft eines Oratoriums.
Mendelssohn hat dem drei-bis fünfstimmigen Chor in diesem Oratorium insgesamt eine sehr aktive Rolle zugewiesen: Er singt in 23 von 45 Nummern, also in mehr als der Hälfte aller Stücke. Für die Sängerinnen und Sänger war das eine besondere Herausforderung, die sie in beeindruckender Weise meisterten. Gleiches gilt auch für das von Gisela Röbbelen geführte Orchester, den Organisten Johannes Wolf und zuletzt bzw. zuerst für Wolfgang Flunkert, der vom Dirigentenpult alles zusammenhielt und alle Beteiligten sicher durch alle Teile dieses großen Werkes leitete. AR
FOTOS: GÜNTER MYDLAK
- 1- Die Kreuzkantorei war im Oratorium „Paulus“ in 23 von 45 Nummern gefordert.
- 2- Kreiskantor Wolfgang Flunkert sorgte mit seiner Leitung für einen beeindruckenden Vortrag der Aufführenden.
- 3- Gisela Röbbelen führte das Orchester als Konzertmeisterin.
- 4- Bernhard Effern überzeugte als Solo-Bassist.